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Restaurierung des Hofbuches Merhincke, Lippetal

von Dr. Lena Lewald

Sicherung des Archivales aus dem 17. Jahrhundert ermöglicht Benutzung

Abholung des Hofbuches in Münster. Von links: Dr. Lena Lewald (Gemeindearchiv Lippetal), David Gniffke (LWL-Archivamt, Referent Archiv Assen), Birgit Geller (LWL-Archivamt, Leitung Restaurierungswerkstatt), Dr. Daniel Droste (LWL-Archivamt, Referent Kreis Soest), Foto: Gemeinde Lippetal.

Das Hofbuch des Hofes Merhincke in Osker bei Lippborg ist nach erfolgter Restaurierung wieder in das Gemeindearchiv Lippetal zurückgekehrt. Das frühneuzeitliche Stück war im Sommer 2024 als Schenkung an das Gemeindearchiv abgegeben worden (siehe Beitrag vom 16.09.2024: https://archivamt.hypotheses.org/category/kommunalarchive/gemeindearchiv-lippetal). In der Restaurierungswerkstatt des LWL-Archivamtes in Münster ist der Erhalt des wertvollen Objektes nun durch fachkundige Behandlung sichergestellt worden.

Erhalt und Überlieferung gewährleistet

Hofbuch Merhincke, Gesamtansicht, Auflicht, Zustand vor der Restaurierung, Foto: LWL-Archivamt.

Das Ergebnis der Restaurierung ist die Wiederherstellung des höchstwahrscheinlichen Ursprungszustandes unter größtmöglicher Bewahrung der Originalsubstanz. Nicht wiederverwendbare Bestandteile des Hofbuches sind beim Objekt verblieben und geben so noch Auskunft über das historisch verwendete Material. Das frisch restaurierte Stück stellt das älteste Archivale im Gemeindearchiv dar. Es bereichert dessen Bestand als ein authentisches Zeugnis des bäuerlichen Lebens und Wirtschaftens unter der Herrschaft einer Adelsfamilie in der Region für den Zeitraum von 1680 bis 1763.

Schadensbild des Hofbuches

Hofbuch Merhincke, Einband und Deckel Innenseite nach Entfernung des Buchblocks mit Restfragmenten der einstigen Schließenbänder, Zustand vor der Restaurierung, Foto: LWL-Archivamt.

Eine Praktikantin in der Restaurierungswerkstatt fertigte eine begleitende Dokumentation zum Zustand des Hofbuches und den Restaurierungsmaßnahmen an, die Auskunft über die einzelnen durchgeführten Schritte gibt. Der braun gefärbte Pergamentüberzug war nicht mehr intakt, die Einschläge an Vorder- und Rückdeckel gelöst. Ein Buchdeckel fehlte, die Kanten des verbliebenen Deckels aus gegautschter, also nass gepresster Pappe waren stark abgenutzt.

Schlitze im Einband und am Deckel sowie Lederfragmente an der Außenkante und an einer Seite am Schnitt belegen das einstige Vorhandensein von Schließenbändern aus Sämischleder. Diese mit Tierfett gegerbten Bänder sind wohl im Laufe der Zeit abgerissen. Hier verwundert die Asymmetrie von drei Schließenbändern, da diese an der Schmalseite eigentlich nicht üblich waren, vor allem nicht bei einem Format dieser Größe von in etwa DIN A6. Pergament war ein kostbarer Rohstoff, der aufwändig hergestellt werden musste und daher dementsprechend oft wiederverwendet wurde. Häufig sind Rückenhinterklebungen aus zerschnittenen Urkunden oder ganze Bucheinbände aus älteren Urkunden bzw. älteren Einbandpergamenten an jüngeren Stücken zu finden.

Demnach liegt die Vermutung nahe, dass auch am Hofbuch das Einbandpergament wiederverwendet wurde.  Vielleicht schützte es zuvor ein Rechnungsbuch, die oft im Schmalfolio-Format gefertigt wurden. Bei dem längeren Format könnte sich ein viertes Schließenband an entsprechender Stelle befunden haben. Der untere Bereich wurde evtl. abgeschnitten und für das Hofbuch in gekürzter Version wiederverwendet. Die Untersuchung des Einbandes lieferte allerdings keine weiteren Anhaltspunkte für diese These. Anhand der Bearbeitungsspuren des Pergaments kann keine genauere Eingrenzung der Herstellungszeit getroffen werden. Die Herstellungsprozesse blieben über lange Zeit gleich und es wurden nicht wie z. B. bei der Lederherstellung zeitlich unterschiedliche Gerbstoffe verwendet.

Hofbuch Merhincke, Buchblock mit gelöster Heftung und Hanfbünden, Zustand vor der Restaurierung, Foto: LWL-Archivamt.

Der Buchblock aus Hadernpapier wies teils durch Nutzung abgerundete Ecken auf. Noch vorhandene Farbpigmente am Schnitt deuten hier auf eine dunkelrote Färbung hin. Die 94 Seiten waren zu sechs Lagen gefalzt und mit unterschiedlichen Tinten beschrieben. Sie waren in Durchausheftung mit Heftfaden aus zwei Hanfkordeln gebunden. Zusätzlich wurde ein Heftfaden durch den Rücken der Pergamentdecke gezogen. Die Heftung war zur Buchmitte hin stark beschädigt und die Heftkordel gelöst. Rückenleimung war kaum noch vorhanden und der zusätzliche Heftfaden stellte die einzige noch vorhandene Verbindung zwischen Buchblock und Deckel dar. Die einstig vermutlich vorhandenen Vorsätze existierten nicht mehr.

Hofbuch Merhincke, erste Seite mit Bezeichnung des Hofes, Streiflicht, Zustand vor der Restaurierung, Foto: LWL-Archivamt.

Das Hofbuch wies starke Verschmutzung am Einband und v. a. am Schnitt auf. Die hinteren Seiten waren mit größeren Rissen und sichtbaren Knicken am stärksten beschädigt. Auf den inneren Buchseiten fanden sich kleinere Risse und auf einigen Seiten Schädlingsfraß durch den sog. Bücherwurm, den Brotkäfer. Zudem waren Verfärbungen durch Feuchtigkeitseinwirkung zu sehen und die Kanten des Papiers verbräunt. Bei einzelnen Tinten ließ sich beginnender Tintenfraß beobachten.

 Voruntersuchungen

Hofbuch Merhincke, Überprüfung der Löslichkeit der Tinten im Wasserbad, Foto: LWL-Archivamt.

Zunächst wurde die Heftung des Hofbuches gelöst, um die einzelnen Komponenten aus unterschiedlichen Materialien gesondert behandeln zu können. Die Seiten wurden paginiert, um Verbleiben in der originalen Reihenfolge zu gewährleisten. Zunächst mussten die Tinten auf Löslichkeit getestet werden. Hierfür wurden kleine Bereiche mit einem Wattestäbchen befeuchtet und so auf Veränderungen oder Abklatsch überprüft. Anschließend wurden zwei Seiten mit unterschiedlichen Tinten zur Überprüfung möglicher Veränderungen in ein Wasserbad gelegt. Dies war nicht der Fall und eine wässrige Behandlung der Seiten so möglich. Vor dieser Behandlung wurde der pH-Wert des Papiers als Referenzwert gemessen.  Er lag hier im Mittel bei 5,4.

Maßnahmen Restaurierung

Hofbuch Merhincke, Nachleimung der Blätter mit Gelatine, Foto: LWL-Archivamt.

Die Buchseiten wurden vor der Wässerung mit einem Naturkautschukschwamm trockengereinigt. Zur Komplexierung der freien Eisenionen in der Eisengallustinte und somit dem Stoppen des Voranschreitens des Tintenfraßes erfolgte eine Wässerung der Seiten in gepuffertem Wasser mit einer Phytatlösung. Die anschließende wässrige Entsäuerung des Büchleins in einem Erdalkalibad in mit Calcium und Magnesium angereichertem Wasser diente der Erhöhung des pH-Wertes und der Neutralisierung der vorhandenen Säure mit einem Puffer gegen die erneute Übersäuerung. Dies verlangsamt entscheidend den Papierzerfall. Nach Abschluss der wässrigen Behandlung wurde erneut der pH-Wert gemessen. Er lag nun im Mittel bei 7,6.

Hofbuch Merhincke, Ergänzungen der Fehlstellen mit Japanpapier, Foto: Gemeinde Lippetal.

Die Knicke in den Seiten wurden mit einem Minibügeleisen geglättet. Es folgte eine Nachleimung der Blätter mit 1%iger Gelatine zur Papierstabilisierung, eine auch historisch so angewandte Stärkungsmethode von Papier. Anschließend wurden mit Japanpapier die Fehlstellen ergänzt und die Risse geschlossen. Zur Verklebung des Hadernpapiers mit dem Japanpapier diente säurefreier alterungsbeständiger Weizenstärkekleister.

Hofbuch Merhincke, Heften der Lagen an der Heftlade, Foto: LWL-Archivamt. .

Nun folgten Ergänzung und Stabilisierung des Einbandes an Umschlag und Deckel, eine Neuheftung gemäß Originalbefund sowie die Verbindung von Umschlag und Buchblock. Die restaurierten Doppelseiten wurden kollationiert, also in Reihenfolge gebracht, und die Lagen anschließend wieder auf zwei Hanfbünden durch die alten Heftlöcher geheftet. Neue Buchdeckel, die in Stärke und Zusammensetzung dem Originalen entsprechen, wurden aus alten, alkalisch aufbereiteten Pappen zugeschnittenen. Vorsätze wurden durch farblich passendes Hadernpapier ergänzt. Der Buchrücken erhielt eine Hinterklebung mit passend gefärbtem Japanpapier.

Hofbuch Merhincke, gehefteter Buchblock mit neuen Vorsätzen und Rückenhinterklebung, Foto: LWL-Archivamt.

Die Restauratorinnen entschieden sich für eine Neuheftung der Blätter mit Hülse im Gegensatz zu dem einst festen Rücken. So entsteht beim Öffnen weniger Spannung am Buchrücken und an den Falzgelenken, was den Erhalt bei zukünftiger Nutzung des Buches verbessert. Zum Schutz der Außenkante des Buchblocks wurde mit einem gefärbten Faden auf eine Kordel ein Kapital gestochen. Dieser Abschluss am Kopf und Fuß des Buchrückens verstärkt den Buchblock zusätzlich und verhindert das Einreißen der Buchlagen. Heute kennen wir ein Kapital als meist farbig gewebtes Bändchen z. B. an Hardcover-Büchern.

Hofbuch Merhincke, geglätteter Pergamentbezug, Zustand vor der Restaurierung, Foto: LWL-Archivamt.

Der Pergamentbezug des Hofbuches wurde in einem Goretex-Sandwich mit Wasserdampf geglättet und anschließend zur Weiterbehandlung in Löschkarton getrocknet. Es erfolgte eine Ergänzung der Fehlstellen mit einem Japanpapierlaminat zur Wiederherstellung der ursprünglichen Form.

Hofbuch Merhincke, Fehlstellenergänzung des Pergamentbezugs mit Japanpapierlaminat, Foto: LWL-Archivamt.

Die Verwendung von Japanpapier anstatt Pergament hat den Vorteil, dass ein stabilerer Verbund zwischen historischem Bezug und den Ergänzungen möglich ist. Das Japanpapier wurde mit Aquarellfarbe farblich an das historische Pergament angepasst und beide Materialien aufeinander kaschiert, d. h. miteinander verklebt. Zuletzt wurden die ergänzten Stellen mit Wachs und einem Tuch poliert, um sie dem Glanz des Pergaments anzupassen. Die aufgebrachte Wachsschicht verhindert zudem ein Ausbluten der benutzten Aquarellfarbe. Das Pergament hat sich leider aufgrund seiner hygroskopischen Eigenschaft nach dem Beziehen etwas zusammengezogen, was zur Folge hatte, dass die Pergamentdecke etwas kleiner geworden ist, als gewünscht.

Hofbuch Merhincke, Beziehen der Deckel, Foto: LWL-Archivamt.

Buchdeckel und Rücken wurden nun mit dem Pergamentbezug verklebt. Zusätzlich wurde ein Heftfaden durch die Decke gezogen, der für das ursprüngliche Erscheinungsbild eingefärbt worden war. Der Faden konnte nicht durch den Rücken des Buchblocks gezogen werden, da dort nun die Hülse angebracht ist. Die Schlitze für die Schließenbänder wurden mit einem Stechbeitel hinzugefügt und zwei neue Bänder aus sämisch gegerbtem Hirschleder angebracht. Das Veloursleder stammt aus Neuseeland. Das im Befund belegte dritte Schließenband wurde für einen symmetrischen Gesamteindruck bei der Restaurierung nicht ergänzt. Die vorhandenen Schlitze des dritten Schließenbandes im Einband am Kopf des Buches sind zur Stabilisierung mit Laminat hinterklebt worden. Die Restaurierungsmaßnahmen beanspruchten insgesamt einen Aufwand von 15,2 Stunden Arbeitszeit.

Ergebnis

Hofbuch Merhincke: Vorderseite mit ergänztem Pergamenteinband sowie Vorder- und Kopfschnitt mit rekonstruierten Schließenbändern, Auflicht, Foto: LWL-Archivamt.

Das Hofbuch Merhincke verrät auch nach der Restaurierung noch immer sein Alter und seine Nutzung durch viele Hände. Doch hat die Restaurierung seine Benutzung wieder möglich gemacht und den weiteren Verlust von Informationen oder die Zerstörung des Objektes verhindert. Entsäuerung und Phytatbehandlung gewährleisten den Erhalt des Archivales aus chemischer Sicht.

Der wiederhergestellte Einband schützt den Inhalt vor mechanischen Schäden. Die Lagerung in einer säurefreien Verpackung bei kontrollierten Klimabedingungen im Magazinraum des Gemeindearchivs Lippetal garantiert die Überlieferung für die Zukunft. All diese Kriterien sind grundlegend für den Erhalt des Hofbuches. Dessen physische Nutzung sollte sich aus konservatorischer Sicht dennoch auf ein Minimum beschränken und dabei der Öffnungswinkel den natürlichen Widerstand des Buches nicht überschreiten.

Hofbuch Merhincke, Vorderseite mit ergänztem Pergamenteinband sowie Buchrücken und Kopfschnitt, Auflicht, Foto: LWL-Archivamt.

Digitalisate des Hofbuches bei Archive NRW im Archiv Assen abrufbar

Das Hofbuch Merhincke ist digitalisiert worden und es kann so genutzt und der Inhalt ausgewertet werden, ohne das Original zur Hand nehmen zu müssen. Der Hof Merhincke in der Bauerschaft Osker gehörte zum Kirchspiel Lippborg und unterstand der Familie von Galen auf Haus Assen. Der Kolon Merhincke besaß als unfreier, eigenbehöriger Pächter der Gutsherren von Galen zu Assen das bäuerliche Nutzungsrecht für den Kotten. Als Zeller stand er in persönlicher und dinglicher Abhängigkeit zu seinem Grundherrn und war diesem sowohl zu Schatzungszahlungen und Pachtabgaben sowie zu Hand- und Spanndiensten verpflichtet. Diese regelmäßigen Abgaben der Bauern wurden allgemein üblich zur Dokumentation niedergeschrieben.

Das Archiv Assen befindet sich im Eigentum der Vereinigten Westfälischen Adelsarchiv e. V. und liegt im LWL-Archivamt in Münster. Der Inhalt ist über Archive NRW recherchierbar. Das Hofbuch Merhincke ist aufgrund seiner Zugehörigkeit zu von Galen zu Assen ebenfalls in diesem Bestand verzeichnet worden und hat die Signatur Ass.A – 3601 erhalten. Die Digitalisate sind unter folgendem Link abrufbar: https://www.archive.nrw.de/archivsuche?link=VERZEICHUNGSEINHEIT-Vz_8dfe8b64-70b6-4021-af94-a3318ac888b3

Die Verknüpfung des Hofbuches mit dem Bestand Assen erlaubt eine Dokumentierung der zu leistenden Pachtzahlungen beider Seiten und die Überlieferungen können sich so ergänzen. Diese Überlieferung der Pflichtabgaben in einem grundherrschaftlichen Verhältnis von bäuerlicher Seite ist im Allgemeinen seltener, da der Wert etwaig erhaltener Dokumente durch Nachfahren evtl. nicht erkannt wird. Eine Überlieferung im herrschaftlichen Kontext ist hier wesentlich wahrscheinlicher und auch häufiger. Daher stellt das Hofbuch Merhincke für Lippetal ein sehr besonderes Stück dar.

Das Gemeindearchiv Lippetal freut sich auf Forschungsanfragen und eine mögliche zukünftige Auswertung des Inhaltes!


OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
ddroste (2. April 2025). Restaurierung des Hofbuches Merhincke, Lippetal. archivamtblog. Abgerufen am 11. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/13mzf


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